"Ich
erinnere mich noch gern daran, als die Bösen noch böse waren
Man brauchte nur auf die andere Seite zu gehen, damit man zu den Guten kam" (Die Aeronauten) Warum immer das ganze
Paket?
Chronologiekritik: Fruchtbare Methode - heikle Schlüsse. Von Daniel Kulla. Wir erleben unübersichtliche Zeiten. Hinter allerlei erfreulichen Gedanken lauern finstere Motive. Kratze an irgendwas und dahinter kommt irgendwas anderes zum Vorschein. Es scheint im Grunde drei Möglichkeiten zu geben, damit umzugehen. Weit verbreitet und nachvollziehbar, aber freundlich ausgedrückt recht naiv ist es, einfach alles mitzumachen und sich in die Fluten zu stürzen. Hakenkreuze aus Plüsch zu machen, wie die nette Designerin aus Mitte. Nicht so verbreitet, für mich viel nachvollziehbarer, aber ebenfalls problematisch ist die Abschottung. In der Art der Zeitschrift 'konkret' wird versucht, die Einfallstore zu schließen und die finsteren Motive aufzudecken. Dabei wird letztlich in Kauf genommen, viele nützliche Ideen von vornherein zu verwerfen und viele Leute zu verprellen. Andererseits wird eben denen auf die Finger geklopft, die zum Beispiel von "berechtigter Kritik an Israel" reden, aber ganz anderes im Sinn haben; es werden auch die ermahnt, denen die Konsequenzen ihrer Überlegungen nicht klar zu sein scheinen; "Kritik an der Wissenschaft" kann oft auf erhoffte Entwissenschaftlichung zurückgeführt werden. Mit der Adoption der Chronologiekritik möchte ich einen dritten Weg beschreiten. Mir ist klar, daß es der heikelste ist. Die Idee besteht in der Konzentration auf die Methode und der Ausklammerung der häufigsten Schlußfolgerungen. Das soll nicht etwa geschehen, um diese Schlüsse zu verschleiern, sondern um zu demonstrieren, daß sie sich aus der Methode nicht zwangsläufig ergeben müssen. Daß logische Ableitungen immer von den Prämissen abhängen. Daß es durchaus eine Frage von persönlichen oder weltanschaulichen Wertentscheidungen ist, wie diese Prämissen gesetzt werden. Aus diesem Grund kann ich beispielsweise mit Wilhelm Reich nach den massenpsychologischen Grundlagen von Gesellschaftsentwicklungen fragen, mit Marx nach den wirtschaftlichen Interessen, meinetwegen mit Velikovsky nach Katastrophen in der Geschichte. Welche Schlußfolgerungen ich daraus ziehe, ob ich den Fragen einen axiomatischen Anklang verleihe, ob ich mit jeder Antwort ganze Modelle verwerfe - das sind ganz andere Entscheidungen. Modelle müssen sich nicht ausschließen und bedenkliche Schlüsse sind nicht unausweichlich. Was also nicht verschleiert werden soll, sind die Wurzeln der Chronologiekritik im Katastrophismus, an dessen Entwicklung wiederum Hörbiger im 20. Jahrhundert einen wesentlichen Anteil hatte. Die Benutzbarkeit der Welteislehre Hörbigers und ihrer apokalyptischen Dimension als antiwissenschaftliches Ersatzkonzept für die Nazis wirft zumindest Fragen auf. Zahllose auf der Welteislehre aufbauende Vorstellungen in Literatur, Esoterik und auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen bilden ebenfalls eine Weltanschauung ab: Überlebende der letzten Katastrophe, der Vernichtung von Atlantis oder Thule, sind die natürlichen Herrscher, die Herrenmenschen; sie wissen ohne Wissenschaft, was richtig ist; sie begründen berechtigte Gefolgschaftsstrukturen. Ebenso soll die schon begriffliche Nähe der Chronologiekritik zum Geschichtsrevisionismus nicht unterschätzt werden. Das berechtigte Verwerfen nicht nachprüfbarer Ereignisse sollte nicht zur Einladung für die Umdeutung von eigener unliebsamer Geschichte mutieren. Die Kenntnis von der Fälschbarkeit der Geschichte kann sehr wohl auch benutzt werden, um von kollektiven Verbrechen abzulenken oder sie anderen zuzuschreiben. Auch die sprunghafte Popularität gerade der russischen Schule im Klima eines neuen Nationalismus gehört aufs Tapet. Es wird deutlich, daß es noch nicht die methodischen Vorüberlegungen, sondern erst die absichtsvollen Spekulationen und Schlüsse waren, die Fomenko bekannt machten. Hier wird gleichzeitig etwas anderes sichtbar: Fomenko war zuvor 25 Jahre lang ignoriert worden. Im Umfeld der Chronologiekritik tummeln sich vor allem deshalb so viele Ideologen verschiedener Richtungen, weil die Geschichtswissenschaften die Entwicklung völlig ignorieren, bestenfalls die Protagonisten mit Beleidigungen überziehen. Mittlerweile werden die fragwürdigen Schlußfolgerungen selbst zum Gegenstand der Verunglimpfung. Die akademische Geschichtsforschung hat jedoch nicht nur vermieden, statt der Exegese wirkliche Prüfung der historischen Quellen zu unternehmen, sie hat letztlich im 19. Jahrhundert selbst begonnen, mythologische Texte zu verläßlicher Überlieferung zu erklären, mit vermeintlich exakten Datierungen vageste Andeutungen sinnlos überhöht. Wer Homer und Alexander den Großen zu Geschichte erklärt, darf sich über das Echo in Form von Atlantis nicht wundern. Urkundenprüfung, Nachvollzug der technischen Entwicklung und der Machbarkeiten, Abgleich von Herrschaftsgeschichte mit der Volksgeschichte - das alles entrümpelt unsere Geschichte und muß am Ende nicht demonstrieren, wessen Herrschaft schlußendlich am legitimiertesten, welche Dynastie die mächtigste oder welches "Volk" der eigentliche Träger der Zivilisation gewesen sein soll. Nach dem Verwerfen der Authentizität von unzähligen Herrschern und Kriegen könnte viel eher zum Vorschein kommen, was uns wirklich in die Gegenwart gebracht hat. Unseren Lebenstandard hätten wir auch ohne die Helden, die Ausbeutung und Schlächtereien erlangt, nicht jedoch ohne die, die Tausend Jahre lang gebastelt, erfunden und sich umeinander gekümmert haben. |